Wühlkiste

- Feiern im digitalen Zeitalter-

iSightWeihnachten 2003. Nein, dieses Jahr nicht. Dieses Jahr bleiben wir zu Hause. Wir fahren nicht die mindestens 550 Kilometer zu unserer Familie. Nein, nicht wir. Das Theater hatten wir erst letztes Jahr. Eine Abenteuertour von ca. 1500 Kilometern innerhalb von nur 4 Tagen. Das Ganze bei Schneesturm, Eisregen, Nebel und nicht vorhandenen Sichtweiten auf der Autobahn. Dieses Jahr hatten wir die Nase voll. Wir wollten Weihnachten in Ruhe verbringen. Zu Hause. Nicht auf der Autobahn und zwischendurch auf Stippvisite bei der Familie.

So kauften wir uns zum ersten Mal ganz bodenständig und stinknormal einen Weihnachtsbaum. Keine Nordmanntanne, nein, eine Fichte, die schön piekst. Als Katzensicherungsschutz, damit die Kugeln vielleicht eine Chance zum Überleben hatten.

Am 24. morgens schmückten wir unseren Tannenbaum. Es wurde alles gemütlich vorbereitet. Aber irgendwie... ein wenig fehlte der Familienanschluß dann doch. Und so kam es, dass wir uns wenigstens ein Familienmitglied mit unter unseren Weihnachtsbaum holten: meinen Vater. Der ist der einzige weitere Mac-User in der Familie, der verrückt genug ist, sich DSL und eine iSight zuzulegen.

Wir trafen uns zur Bescherung unserer wenigen Geschenke. Wir holten das iBook, bauten unsere iSight an, machten ein wenig mehr Licht, als die Baumbeleuchtung hergab, richteten die Kamera aus, setzten uns in Szene und luden unseren Senior zum Videochat ein. Er wohnt 600 Kilometer von uns entfernt, aber trotzdem konnten wir in seiner Gesellschaft die Pakete auspacken, die er uns geschenkt hatte. Er war damit live und in Farbe dabei, als ich die Flash-Speicherkarte auspackte, welche für unsere neue Kamera gedacht ist, die wir aber noch nicht haben. Also baute ich sie kurzerhand in die alte Epson 3000Z ein, um ihre Funktion zu testen. Klar machte ich die üblichen Familien-Weihnachtsfotos. Auch eines von meinem Vater. Er meinte, das ginge doch sowieso nicht. Woraufhin ich ihm anschließend das Foto per Mail schickte, auf dem er uns aus dem iBook anlächelt.

Weihnachten mit iSight

Auch wenn wir nicht zusammen essen konnten und die Beleuchtung für Weihnachten vielleicht ein wenig übertrieben war, so konnten wir doch wenigstens mit einem kleinen Teil unserer Familie ganz entspannt feiern. Ohne Mac, DSL und iSight wäre das nur mit erheblichem Streß, hohen Benzinkosten und viel wetterbedingtem Fahrrisiko möglich gewesen.

Schließlich naht Silvester, der Geburtstag meines Vaters. Seine Familie hat sich bei ihm zum Kaffee angekündigt. Wer von denen überhaupt einen Computer sein eigen nennt, ist Windows-Anwender. Eine Webcam hat keiner von ihnen. Dieses Jahr wollen wir wenigstens kurz beim Familientreffen dabei sein. Auch wenn wir uns immer noch weigern, uns ins Auto zu setzen. Mal sehen, was unsere Verwandtschaft zu unserem Überraschungsbesuch zu sagen hat. So trudeln auch wir weit entfernten Familienangehörigen pünktlich zur Kaffeezeit in Vaterns Wohnzimmer ein. Und haben die Überraschung auf unserer Seite. Das Geburtstagskind selbst wundert sich natürlich überhaupt nicht, schließlich hat er sein PowerBook extra unseretwegen angelassen.

Aber während sich die Verbindung noch aufbaut, hören wir schon erstaunte Bemerkungen wie: "Ach, das sind Anja und Olaf? Wie geht das denn?" "Das ist ja toll". Begrüßt werden wir von meiner Cousine, schon berufsbedingt diejenige mit der meisten Computererfahrung. Womit sie, wie wir schnell feststellen, auch die einzige ist, die keinerlei Probleme im Umgang mit der neuen Technik hat. Schwupps - schon ist die iSight am anderen Ende passend ausgerichtet und munter plappert sie drauflos. Kurzer Wetterberichtsaustausch mit dem Ergebnis, dass unser Wetter derzeit besser ist. Wengistens ist es hier trocken, in Hamburg regnet es. Wir stellen endlich mal unsere Katzen vor, die bisher nur mein Vater kennt. Im Hintergrund hört man den Rest der Familie, alle schon in der Rentnergeneration. Das muß man in diesem Falle dazusagen, denn wir stellen fest, dass dort doch ein wenig Unsicherheit herrscht. Meine Cousine richtet PowerBook mitsamt iSight auf ihre Mutter. Diese ist erstmal schwer beeindruckt davon, uns live und in Farbe zu sehen, fragt nach unserem Befinden. Doch dann verstummt sie, vollkommen unsicher, wie sie jetzt weitermachen soll. Am Telefon hat sie damit keine Probleme und wir können uns stundenlang unterhalten. Auch Seitenbemerkungen im Sinne von "Rede doch einfach" locken sie nur bedingt aus der Reserve. Aber immerhin: Sie dreht das Powerbook noch ein wenig, damit meine älteste Tante uns Hallo sagen kann.

Katze im Paket

Diese beeindruckt mich mal wieder. Ja, auch für sie ist das Ganze äußerst ungewohnt, aber dennoch: Nach einer kurzen Eingewöhnungphase redet sie relativ normal mit uns. Sie zeigt uns sogar ein Foto ihrer jüngsten Enkeltochter, hält es optimal in die iSight. Auch die zuerst angesprochenen Tante redet langsam vorsichtig mit. Jetzt guckt sie ja auch nicht mehr in die Kamera und vor allem: Sie sieht sich selbst nicht mehr. Das läßt die Scheu ein wenig schwinden. Trotz allem meinen die beiden Damen irgnedwann, man solle das Ganze doch besser wieder auf meine Cousine richten, die kann da am besten mit umgehen. Immerhin ist sie auch so schlau, ihren Vater nochmal einzublenden, der hatte sich bisher nämlich erfolgreich gedrückt. Aber mehr als ein Winken und ein kurzes Hallo ist ihm nicht abzuringen. Mein Vater schenkt Kaffee ein, meine Cousine bietet uns großzügig einen Berliner an. Wir beide sitzen hier auf unserem Sofa und lauschen den langsam beginnnenden Gesprächen, mischen uns zwischendurch mal ein und lösen eine Diskussion um Bildtelefonie aus. Irgendwann verabschieden wir uns, wünschen allen einen guten Rutsch, bleiben aber noch eine Weile dabei. Kaum sagen wir Tschüß, geht das Reden auf der anderen Seite der Leitung auch schon los. "Ist ja toll" "Ihr und Eure Technik" "Naja, so sieht man sie wenigstens mal" "Muß ich mich erstmal dran gewöhnen, aber ist ja interessant". Schließlich beenden wir den Videochat und denken nach.

Auffällig für uns war, dass gerade die ältere Generation sich zwar freut, uns zu sehen, aber doch massive Probleme im Umgang mit der Technik hat. Auch wenn sie nichts anfassen oder bedienen müssen, sind sie doch sehr unsicher. Meine beiden Tanten sind eigentlich nicht wortkarg und ich freue mich immer, von ihnen zu hören. Aber das Unterhalten per Computer ist dann doch was anderes, ich frage mich, ob das früher beim Telefon wohl genauso war. Doch ich bin mir auch ganz sicher: Hätten sie selbst einen Mac mit DSL und iSight, innerhalb kürzester Zeit würde ich meine Familie wesentlich häufiger zu Gesicht bekommen. Und die beiden würden drauflosreden, als säßen wir "in Echt" daneben. Schon innerhalb der halben Stunde unseres Videochats tauten sie hörbar auf. Vielleicht hätte mein Vater auch einfach das kleine Bild, in dem sie sich selbst sehen ausschalten sollen. Zumindest mich irritiert das immer noch, kamerascheu wie ich bin.

Fazit

Sicher geht nichts über das richtige Dabeisein im Kreise der Familie bei den alljährlichen Feierlichkeiten. Eine Anwesenheit per iChat kann die reale Feier sicher nicht ersetzen. Aber wenn man soweit weg wohnt, kann man nicht mal eben hinfahren und mitfeiern. Schon gar nicht, wenn man dann auch immer noch mindestens drei Familienteile abklappern muß, die sich auch wieder auf über 250 Kilometer verteilen. So bietet einem Apples Technologie doch immerhin die Möglichkeit mal Hallo zu sagen, in die Kamera zu winken und beim Geschenkeauspacken zuzugucken. Man ist nicht mehr ganz so weit weg. Außerdem: Wir können uns jederzeit einfach wieder abmelden. Weihnachten ist doch ganz im Gegensatz zur Theorie meist der Tag, an dem es bestimmt wieder Streit gibt. Ist man nur virtuell dabei, kann man sich dezent zurückziehen. Und für uns ist es so einfach wesentlich streßfreier, spart es doch viel Fahrerei. Mal abgesehen davon, dass ich meine Familie schon seit unserer Hochzeit nicht mehr komplett gesehen habe. Heute war es fast einmal wieder soweit. Müssen wir nur noch die andere Familienhälfte mit wenigstens einer iSight ausrüsten... (as)

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